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Indien 2024

Im letzten September reisten Stephan Siegrist, Kaspar Grossniklaus, Hugo Beguin und ich in den Garwhal Himalaya in Indien. Für Stef und mich war es der dritte Versuch einer Erstbegehung in der Südwand des Shivlings (6543 m.ü.M.). Unser erster Anlauf im Jahr 2021 musste aufgrund von Höhenkrankheit eines Teammitglieds auf 6100 m.ü.M. abgebrochen werden, und der zweite Versuch im Jahr 2022 scheiterte an den anhaltend schlechten Wetterbedingungen, die es uns nicht ermöglichten, überhaupt einen Versuch zu starten. So war die Hoffnung groß, dass es diesmal klappen würde.

Nach unserer Ankunft in Delhi setzten wir unsere Reise mit einer zweitägigen Busfahrt nach Gangotri fort, die sich aufgrund heftiger Monsunregen um einen Tag verzögerte. In Gangotri angekommen, mussten wir noch einen weiteren Tag warten, um die finale Genehmigung für den Nationalpark zu erhalten. Dann konnte es endlich losgehen. Über drei Tage wanderten wir gemütlich zu unserem Basislager unterhalb der Südwand des Shivlings auf 4600 m.ü.M. Dabei ließen wir uns genügend Zeit, um uns gut an die Höhe zu akklimatisieren. Am dritten Tag angekommen, errichteten wir das Basislager im Schneesturm bei 30 cm Neuschnee – kein idealer Start. Doch wie sich herausstellen sollte, war dies der letzte Schneefall für fast einen Monat.

Nach einigen Tagen der Akklimatisierung und des Einlebens im Basislager brachten wir bereits die erste Materialladung ins ABC auf 5400 m.ü.M. Zum ersten Mal hatten wir wieder Blick auf die Wand und unsere geplante Linie. Die Bedingungen schienen sensationell. Nach zwei weiteren Akklimatisationsrunden – einer Nacht in einem Col oberhalb des Basislagers und einer Nacht im ABC – fühlten wir uns bereit, den Versuch zu starten. Auf Grund des Steinschlags war der Aufstieg ins ABC nur nachts oder am frühen Morgen sicher, weshalb wir am ersten Tag unseres Versuchs entschieden vom Basislager bereits bis ins Camp 1 auf 5700 m.ü.M  zu klettern.

Am nächsten Tag stateten wir mit den ersten Sonnenstrahlen. Über sieben wunderschöne Seillängen erkletterten wir den steilen Pfeiler bis Camp 2 auf 6000 m.ü.M. Die Kletterei war perfekt, die Risse ideal; die Schlüsselstelle, die ich 2021 noch technisch geklettert hatte, geht diesmal frei. Pure Kletterfreude auf fast 6000 Metern! Trotz dieses erfolgreichen Tages belastete uns jedoch die Tatsache, dass sich der Berg in den letzten drei Jahren erheblich verändert hatte. Eine ganze Seillänge war nicht mehr vorhanden und war abgestürzt, Risse, in die wir 2021 Schlaghaken gesetzt hatten, waren mehrere Zentimeter auseinandergegangen. Der gesamte untere Teil des Pfeilers war sandig – ein deutliches Zeichen für die Bewegung des Gesteins. Zudem beobachteten wir mehrmals Steinschläge in dem Bereich von Camp 1, wo wir am Vortag den ganzen Nachmittag verbracht hatten. Für uns war klar, dass wir hier noch genau ein einziges Mal vorbeikommen werden – beim Abstieg.

Beim Abendessen musste sich Kaspar plötzlich übergeben und zeigte erste Anzeichen von Höhenkrankheit. Stef und ich schauten uns an und waren fassungslos – genau die gleiche Geschichte am exakt selben Ort auf derselben Höhe wie 2021. Aufgeben wollten wir gerade noch nicht und rieten Kaspar, etwas zu schlafen und um Mitternacht noch einmal zu schauen. Als wir ihn jedoch aus dem Tiefschlaf erwachten, teilte er uns mit, dass es ihm nicht besser ging. Ohne Diskussion war klar, dass wir umkehren mussten. Wir holten die 100 Meter Seil, die wir am Vorabend fixiert hatten, zurück und begannen mit dem Abseilen. Der Abstieg verlief effizient, und wir waren uns einig, dass wir bei Sonnenaufgang unterhalb des ABCs sein wollten, um dem Steinschlag zu entkommen. Zum Frühstück waren wir bereits wieder im Basislager und genossen einen Kaffee. Trotz der Erleichterung, dass alle gesund zurückgekehrt waren, merkten Stef und ich bald, wie zermürbend es war, erneut am selben Ort umkehren zu müssen.

Anstatt den Kopf hängen zu lassen, entschieden wir uns nur vier Tage später, einen Versuch am Baghiratti III (6454 m.ü.M.) über den SSW-Grat zu wagen. Wir starteten von unserem Basecamp aus, überquerten den Gangottri-Gletscher und stiegen bis auf eine Höhe von 5600 m.ü.M. ins Lager 1 auf. Nach einer langen Nacht brachen wir um 6:00 Uhr auf. Zunächst über Schneefelder, bis wir den Beginn des Grates erreichten. Dort begann das dunkle Gesteinsband, aus dem der obere Teil der Baghiratti-Gruppe besteht und das berüchtigt für seine Brüchigkeit ist.

Durch moderate, aber äußerst brüchige Kletterei gewannen wir an Höhe. Die Schwierigkeiten bewegten sich zwischen dem 4. und 5. Schwierigkeitsgrad. Dabei bestand die Herausforderung vor allem darin, Griffe und Tritte zu finden, die einigermaßen kompakt waren und an denen wir uns halten konnten, sowie einen guten Weg durch das Meer aus brüchigem Felsen zu finden. Vorsichtig, aber stetig kamen wir gut voran, und um die Mittagszeit umarmten wir uns glücklich auf dem Gipfel.

Der Abstieg verlief schnell und problemlos über einige Abseilstellen, sodass wir noch am selben Abend im Basislager auf unseren gelungenen Gipfel anstoßen konnten. Dabei könnte es sich sogar um eine Erstbegehung handeln – wir hatten am Grat kein Material gefunden und keinerlei Informationen sowohl bei der Indian Mountain Federation (IMF) als auch online. Für unser Team war es auf jeden Fall eine äußerst wertvolle Begehung nach der erneuten Enttäuschung am Shivling. So konnten wir alle auf eine erfolgreiche Expedition zurückblicken, begleitet von gutem Wetter, und Indien bleibt neben dem Bergsteigen immer wieder ein Abenteuer für sich.

3. Versuch Shivling und Bhagirathi III

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